Von Schildkröten und Hasen

In meinem Büro hängt eine Postkarte mit einem Schildkrötenmotiv drauf und dem (angeblich chinesischen) Sprichwort „Schildkröten sehen mehr vom Weg als Hasen“.

Ich kenne Schildkröten und besitze sogar zwei, und ich kenne Hasen. Daher kann ich bestätigen, dass dieses Sprichwort im Grunde seines Herzens vermutlich sehr wahr ist. Wobei: Ein Hase läuft in wesentlich kürzerer Zeit viel schneller und weiter als eine Schildkröte, insofern sieht er insgesamt mehr Wegstrecke und Landschaft, aber vermutlich weniger Details. Eine Schildkröte jedoch bleibt mal hier, mal dort stehen und guckt sich alles auf ihrer kürzeren Wegstrecke viel genauer an. Sie schnuppert an einzelnen Blüten, Kräutern, Steinen und anderem Gedöns, bleibt wieder stehen, geht drei Schritte, dreht eine Runde, frisst, schnuppert, guckt, sonnt sich mal, döst. Gemütlich eben. Wobei Sie vielleicht staunen würden, wie schnell eine Schildkröte laufen kann, wenn ihr danach ist.

Selbstverständlich bezieht sich das Sprichwort nicht nur auf Schildkröten und Hasen, das wäre ja viel zu simpel und dann eben auch kein Sprichwort mehr, sondern eine Feststellung, wenn es denn wirklich wahr ist, aber dabei ist die Wissenschaft gefragt und nicht ich.

Warum erzähle ich Ihnen nun all diesen Kram? Es geht ja um Menschen. Ich zum Beispiel war früher mehr ein Hase eine Häsin als eine Schildkröte. Früher, also sagen wir mal … vor ungefähr zehn bis fünfzehn Jahren, da hätte ich unter anderem einen NaNoWriMo, einen National Novel Writing Month, wahrscheinlich locker aus dem Ärmel geschüttelt. 50.000 Wörter in 30 Tagen? Kein Thema! Hold my Beer! 🙂

Inzwischen hat sich das geändert. Ich bin zur Schildkröte mutiert mit gelegentlichen Häsinnen-Hochphasen. Dennoch oder gerade deswegen fange ich Projekte wie den NaNoWriMo gar nicht erst an. Meine kurzfristigen Ziele sind im Laufe der Jahre immer kleiner geworden. Das fängt schon bei den Tageszielen an. Ich habe gelernt, mit Leistungskrisen und Schreibflauten, mit Antriebslosigkeit und gelegentlicher Verzweiflung zu leben, hier und da von vorne anzufangen und Dinge einfach liegen zu lassen, weil ich weiß, dass ich sie in der Kürze der Zeit, in der ich sie früher erledigen konnte, nicht mehr schaffe. Ich verzichte darauf, Sie mit Details zu langweilen, aber wenn man im Leben so oft hingefallen und wieder aufgestanden ist, kennt man sich selbst irgendwann ganz gut. Man kann halbwegs einschätzen, was man in welcher Zeit leisten kann und was nicht. Fehldiagnosen nicht ausgeschlossen, aber es ist so, wie es ist, und ein Drama ist es nicht. Schade schon. Aber kein Grund für einen persönlichen Weltuntergang oder für ein ständiges Denken an ein Damals. Damals ist vorbei.

Nichtdestotrotz probiere ich gerade beim Schreiben schon mal die eine oder andere empfohlene Methode aus. So startete ich vor einigen Wochen den Versuch, in so kurzer Zeit wie möglich so viel wie möglich zu schreiben. Ein Tipp, den viele Autor*innen befolgen und damit gute Ergebnisse erzielen. Bei mir ist dieses Experiment erfolgreich gescheitert. Es ist ein Chaos entstanden, dagegen gleicht der Zustand unter Hempels Sofa einer aufgeräumten Garage. Immer wieder blieb ich hier und dort hängen, stellte fest, dass etwas Wichtiges vergessen wurde, tippte dennoch tapfer weiter, fügte Anmerkungen ein für „später“, in meiner Datei befanden sich ganze Kapitel doppelt … nein. Diese Methode habe ich für mich vorläufig abgehakt und begleite nun die Figuren meines neuen Romans wieder Schritt für Schritt, auch wenn es dann bis zur Fertigstellung und Veröffentlichung länger dauert.

Unter anderem hatte ich mir irgendwann im Laufe des Jahres vorgenommen, den neuen Roman noch vor Weihnachten zu veröffentlichen. Der unerwartete und für mich wirklich riesige Erfolg von „Ein Herz aus Marmelade“ versetzte mich allerdings von April bis zum Sommer mehr oder weniger in eine fassungslose Schockstarre – im positiven Sinne natürlich. Klar, im Hinterkopf war er immer da, der Gedanke, endlich mit dem neuen Projekt anzufangen. Gerade als Selfpublisher*in soll man ja „schnell nachlegen“, um nicht gleich wieder vergessen zu werden. Man soll auch noch so vieles andere tun. Bei Facebook sein, zum Beispiel. Instagram nicht zu vergessen. Ganz oft bloggen. Newsletter verschicken. Vielleicht noch ein Video veröffentlichen, dann und wann.

Ich bin nur bei Twitter und halte mehrmals im Jahr Lesungen vor realem Publikum, das ich angucken kann und das zurückguckt. Mit anderen Autor*innen gemeinsam oder auch alleine, so wie in der vergangenen Woche. Eine Lesung am Dienstag, eine am Freitag, danach war ich durch. Es waren zwei schöne Erfahrungen, sehr schöne sogar, aber auch anstrengende.

Ab dem 1. Dezember möchte ich so oft wie möglich, vielleicht sogar täglich, das erste Mal an einer Challenge teilnehmen, und zwar an der #SelfPubChallenge. Ins Leben gerufen wurde die Challenge von der Schweizer Fantasy-Autorin Evelyne Aschwanden. Einen ganzen Monat lang werden Autor*innen Bücher von Selfpublisher*innen lesen, diese besprechen und darauf aufmerksam machen. Eine großartige Sache, finden Sie nicht auch?

Seien Sie genau so gespannt wie ich. Auf die gesamte Challenge und darauf, ob, wie oft und was ich dazu beitragen kann.

Morgen geht es schon los mit der #SelfPubChallenge. Mein erster Beitrag sollte eigentlich längst vorbereitet sein, ist er aber nicht.

Macht nichts. Ich bin eine gemütliche Schildkröte.

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