Toast Corona

Ein halbierter Dialog
(es spricht nur einer)

Hallo.

Sie da.

Pssst. Ja, Sie.

Ich muss Sie mal was fragen.

Wie haben Sie das denn damals gemacht? Also, als hier Corona war. Und es kein Toilettenpapier gab.

Bei uns in Heinsberg gab es ja nirgends welches. Wir hatten zu Hause fast keins mehr und wollten gerade welches kaufen. Bis Aachen sind wir gefahren. Überall rein und geguckt. Alle Regale leer.

Am Samstag vor Ostern bin ich sogar um fünf Uhr morgens zum Supermarkt gegangen, mit meinem Klappstuhl und einer Wolldecke. Da wäre ich als erster im Geschäft gewesen, habe ich gedacht. Aber da waren schon andere Leute. Auf einmal hielt ein Auto an. Stellen Sie sich vor, da stieg Herr Pusch draus aus! Unser Landrat persönlich! Er meinte, wir sollten doch bitte wieder nach Hause gehen, wie sähe das denn aus. Als würden wir herumlungern. Ich fragte ihn, ob er vielleicht Toilettenpapier dabeihat. Damit könne er leider nicht dienen, sagte er. Aber er holte eine Dose mit Fruchtgummis* aus dem Auto, daraus durften wir uns was für den Heimweg mitnehmen. Das war sehr nett vom Herrn Pusch.

Wissen Sie, wir ernähren uns recht gesund, meine Frau Gisela und ich. Viel Bio. Und Vollwertkost. Das entschlackt. Hält den Darm fit und den Stuhl geschmeidig.

Am liebsten essen wir ja gutes Körnerbrot. Ohne Hefe oder gar Gluten. Pures Korn. Unser Bäcker um die Ecke macht das beste, das müssen Sie mal probieren. Total saftig. So ein Brot ist richtig schwer. Und satt macht das, ich sag’s Ihnen. Gute Öle sind auch drin, durch die Ölsaaten. Sehen Sie, wie schön mein Haar glänzt? Liegt alles am Brot.

Wie meinen Sie das, welches Haar?

Selbstverständlich habe ich noch welche! Schauen Sie hier, am Hinterkopf!

Dann standen wir auf einmal da. Ohne Toilettenpapier. Das ist richtig schlimm, wenn man Vollwertkost isst.

Wir haben nach Alternativen gesucht. Gute Papiertaschentücher bleiben heutzutage ja sogar in der Waschmaschine ganz. Aber mir ist gleich beim ersten Mal auf der Toilette eins gerissen. Kosmetiktücher eigenen sich auch nicht gut.

Wir hatten noch einige Rollen Haushaltspapier im Vorratsschrank. Die wären gegangen. Aber wissen Sie, was das Problem bei allen diesen Tüchern ist? Man darf sie nicht runterspülen im Klo. Das verstopft.

Dann haben wir einen alten Eimer neben die Toilette gestellt. Mit einem großen Plastikmüllsack darin, um die verschmutzten Papiertücher hinein zu tun. Schließlich kann man die Tücher ja nicht einfach auf den Boden legen und dann nach draußen in den Müll tragen.

Der Gestank war sehr schlimm. Anfangs haben wir täglich die Tücher aus dem Sack in die Mülltonne gekippt. Aber von der eigenen Hinterlassenschaft blieb immer noch was innen am Sack kleben. Gisela wollte nicht jedes Mal den ganzen Sack wegwerfen müssen. Sie achtet da sehr drauf, dass wir nicht so viel Müll produzieren.

Irgendwann habe ich Leute im Internet gefragt, wie die das denn machen. Eine Frau meinte, ich solle mich nicht so dumm anstellen. So lange es noch Wasser und Seife gibt, könne man sich auch nach dem Toilettengang reinigen.

Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich bin ins Badezimmer gegangen und habe unser Waschbecken angeguckt. Es hängt höher als mein Hinterteil, also bräuchte ich eine kleine Trittleiter. Aber mein Hinterteil würde gar nicht ins Waschbecken passen, da war der Wasserhahn im Weg! Und überhaupt, sollte ich dann einen Waschlappen benutzen? Oder gar mit der bloßen Hand? Wir haben nicht so viele Waschlappen. Die müssen ja dann auch ausgekocht werden. Mit der bloßen Hand würde ich das nicht wollen, höchstens mit Einmalhandschuhen. Aber die gab es ja auch nicht zu kaufen! Desinfektionsmittel auch nicht!

Da hatte meine Frau eine Idee. Sie hat oft gute Ideen. Sie meinte, wir sollten, weil es ja sozusagen ein Notfall war, besser kein Körnerbrot mehr essen. Sondern was aus Weißmehl. Toastbrot. Helle Brötchen. Baguette, Stuten, solche Sachen eben. Und nur noch ganz wenig mit Fett und Öl. Keine Rohkost. Wäre schließlich nur vorübergehend. Dann müssten wir aber nicht mehr jeden Tag müssen müssen.

Na gut, habe ich zu Gisela gesagt und bin zum Supermarkt gefahren. Fünf Packungen Toastbrot, damit uns das nicht gleich ausgeht. Fettarmen Käse sollte ich auch mitbringen. Bananen. Und Eier.

Dieses Toastbrot in Scheiben, das es in einer Tüte zu kaufen gibt, das ist ja schon sehr preiswert. Aber trocken ist das, trocken! Das staubt ja fast beim Kauen. Es macht auch überhaupt nicht satt. Dafür aber durstig! Zum Frühstück habe ich immer fünf Scheiben Toastbrot und ein hartgekochtes Ei essen müssen, damit der Hunger endlich aufhört. Dazu brauchte ich zwei große Gläser Wasser!

Gisela und ich, wir sahen nach drei Tagen schon richtig grau aus. Ich fühlte mich gar nicht mehr gut. Als hätte ich Steine verschluckt. Das drückte vielleicht im Gedärm, das trockene Zeug!

Am vierten Tag meinte ich, auf die Toilette gehen zu können. Aber es wollte nichts rauskommen. Ich saß dort eine Dreiviertelstunde, stellen Sie sich das mal vor! Schwerstarbeit war das, Schwerstarbeit! Gisela war schon ganz besorgt um mich, weil ich so laut stöhnen musste dabei.

Am fünften Tag war jedenfalls das ganze viele Toastbrot alle, das ich gekauft hatte. Gisela und ich sind beide wieder einkaufen gegangen. Getrennt, versteht sich. Sie ist nach Wassenberg zum Drogeriefachmarkt gefahren und hat mich vorher bei unserem Supermarkt abgesetzt.

Da stand dann dieser Fischwagen. Wie das geduftet hat. Aber Gisela hat ja gesagt, dass wir das mit dem wenigen Fett noch ein bisschen aushalten müssen, bis endlich wieder Toilettenpapier da ist. Also bin ich rein in den Markt und nach einer halben Stunde wieder raus und ich konnte einfach nicht anders. So ein Bratfisch mit viel Remoulade, das ist wirklich was Himmlisches. An diesem Tag ganz besonders. Damit Gisela nichts merkt, habe ich schnell ein paar Pfefferminzdrops gelutscht.

Auf dem Nachhauseweg fing es dann auf einmal an, in mir zu rumoren. Ich bin immer schneller gegangen. Den Gürtel habe ich schon vor der Haustür aufgemacht, damit ich schneller aus der Hose komme. Auf dem WC machte es erst einen großen Knall und dann ist es aus mir herausgeplatzt.

Und zwar überall hin! Wir haben weiße Fliesen! Meine Kleidung musste ich auch komplett ausziehen!

Warum lachen Sie denn so?

Jedenfalls musste ich mir was einfallen lassen, bevor Gisela zurückkommt. Wir hatten zum Glück kurz vor Corona einen Hochdruckreiniger angeschafft. Mit einem Handtuch um die Hüften bin ich ihn aus der Garage holen gegangen. Unser Nachbar hat ein bisschen komisch geguckt, das war unangenehm. Dann habe ich noch den Nasssauger aus dem Keller geholt und alle meine Sachen in die Waschmaschine gesteckt. Kochwäsche, versteht sich. Mit dem Hochdruckreiniger ist alles blitzblank sauber geworden. Tolles Teil.

Bevor ich in die Duschkabine steigen konnte, klopfte es laut an der Badezimmertür. Gisela war zurück. Sie rief meinen Namen und bat darum, dass ich mich beeile. Es sei dringend. Natürlich öffnete ich ihr. Als sie sich an mir vorbeidrängelte, roch sie eindeutig nach Brathähnchen.

Fast direkt danach gab es schon wieder einen großen Knall. Dieses Mal von Gisela.

Nun, das war uns beiden recht peinlich, was da passiert war. Selbstverständlich haben wir uns das gegenseitig gebeichtet, also das mit dem Essen. In der Ehe soll man ja immer ehrlich zueinander sein.

Es war trotzdem ein ganz guter Tag. Ich durfte den neuen Hochdruckreiniger gleich zweimal benutzen. Gisela hatte im Drogeriefachmarkt eine Großpackung Toilettenpapier ergattert, sogar zum Schnäppchenpreis. Deshalb hat sie auch direkt drei von unseren Lieblingskörnerbroten gekauft.

Ja, aber wie haben Sie das denn nun gemacht, damals, als es kein Klopapier gab?

Wie bitte?
Sie sind SUPERMARKTLEITER?

* Ostergrüße!

(c) Heidi Hensges 2020

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